Achtsamkeit in der Schule
Ein Erfahrungsbericht
Mein Name ist Andrea Meier. Ich bin seit 10 Jahren in Spreitenbach als Lehrperson tätig. Rund 8 Jahre davon arbeitete ich in der Primarstufe. Im August 2020 habe ich mich dazu entschlossen, in die Oberstufe zu wechseln. Ich startete als Klassenlehrerin der 1. Realklasse. Die Schüler und Schülerinnen kamen aus den verschiedenen Schulstandorten Spreitenbach und Killwangen.
Die Gruppe hatte also eine völlig neue Zusammensetzung. Einige Schülerinnen und Schüler kannten sich - einige nicht. Sie bildete sich aber schon schnell zu einer Gemeinschaft und wir begaben uns auf unsere Reise. Schon in den ersten Wochen beobachtete ich, dass einige Schüler und Schülerinnen über eine geringe Emotionssteuerung, kurze Konzentrationsspannen und einige Defizite im sozialen Umgang aufzeigten. Diese Themen trug die Gruppe dann auch in die Fachstunden, was es für mich als Klassenlehrperson nicht einfacher machte.
Ich versuchte Lösungen zu finden und merkte, dass es schwierig war zu der Gruppe durchzudringen. Ich überlegte Tag und Nacht, was ich noch machen konnte. Mein Gedankenkarussell fing an zu arbeiten. Die Rückmeldungen aus den Fachstunden fingen an mich zu belasten. Die Unruhe im Klassenzimmer fing an mich zu stressen. Die neuen Lerninhalte mussten vorbereitet werden, ich musste mich noch zurecht finden in einem neuen Schulhaus und eigentlich war mein grösstes Problem die Unruhe in meiner Klasse. Diese Komponenten lösten bei mir ein immer schneller drehendes Gedankenkarussell aus. Meine Selbstzweifel wurden immer grösser. Mein Rucksack, mit all den Werkzeugen, die ich aus der Primarstufe mitgenommen hatte, reichten plötzlich nicht mehr aus. Ich brauchte mehr und, wie es sein musste, lief mir den Weekendkurs „Achtsamkeit mit Kindern leben und weitergeben“ über den Weg. Ich entschloss mich für einen „AmiKil mit der BTP-Toolbox“ (BTP= BewusstSEINsTrainingsProgramm) Weekend Kurs bei Erica Fankhauser anzumelden. Dieser Weekend Kurs was die Kehrtwende in meinem Dasein.
Durch die an eigenem Leibe erfahrene Übungen vom Wochenende, fühlte ich, dass die Achtsamkeit etwas für meinen Schülern sein konnte. Mit neuen Ideen rund um das Thema Achtsamkeit in der Schule startete ich in diesem Novembermontag als „Achtsamkeitsknowbody“ mit Achtsamkeitsübungen in den Schulalltag. Ich berichtete meiner Klasse, dass ich am Wochenende einen Achtsamkeitskurs besucht hatte und fragte sie, ob sie Lust hatten meine Erfahrungen auszuprobieren. Meine – unsere achtsame Reise begann.
Ich erzählte ihnen eine Geschichte über einen Jungen, der ständig im Kampf mit seiner Wut und seinen Emotionen war und so ständig Ärger in der Schule hatte. So stiegen wir ein und erkundeten unser eigenes Stressmuster. Ich habe mein eigenes Stressmuster an der Wandtafel aufgezeichnet. Danach war meine Klasse an der Reihe. Im Anschluss tauschten wir uns aus. Es entstand ein Rahmen der Vertrautheit und Verbundenheit.
Oft höre ich, dass Lehrpersonen sich nicht trauen Achtsamkeit mit Oberstufe Schüler*innen zu üben. Sicher nicht, wenn sie selbst nicht so viel Achtsamkeitserfahrung haben. Aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es geht. Ich habe die Schüler*innen eingeladen, freiwillig an den Übungen teilzunehmen. Die einzige Regel beim Nichtpraktizieren ist, dass du als Nichtpraktizierende den anderen oder die andere in Ruhe mitmachen lässt. Du kannst z.B. aus dem Fenster schauen und die Ruhe geniessen.
Was ich gemerkt habe, ist, dass die anschliessenden Rückfragen (die enquiry questions) nach den Achtsamkeitsübungen von bedeutsamem Wert sind. Es entsteht Verständnis für und eine Verbundenheit zueinander.
Die Schultage beginnen bei uns immer mit dem täglichen Wetterbericht. Die Schüler*innen und ich erzählen uns kurz, wie es uns geht in Form eines Wetterberichts. Nachher machen wir eine kurze Atemübung, einer Musikmeditation, einer kreativen Mal Übung oder einer Fantasiereise, um im Hier und Jetzt anzukommen. Da haben sich inzwischen verschiedene Übungen gesammelt. Sei es aus der reichhaltigen Schatzkiste von Erica Fankhauser’s BTP-Toolbox oder aus anderweitige Quellen.
Mittlerweile beginnt jeder Morgen mit einem achtsamen Einstieg. Meine Schüler*innen und ich sind nun seit rund 1 ½ Jahren gemeinsam immer wie mehr und wenn ich ehrlich bin, manchmal auch etwas weniger achtsam unterwegs. Wir sind zu einer Gemeinschaft gewachsen, mit einem enormen wertvollen und wertschätzenden Umgang. Dieser Umgang zeigt sich jetzt auch im Rahmen der Fachstunden. Das Verhalten der Schüler*innen hat sich geändert und sie sind sich bewusst, dass sie verantwortlich sind für ihr Handeln. Sie und niemanden anders.
Während die letzten 1,5 Jahren haben die Schüler*innen verschiedene wertvolle Erfahrungen gesammelt. Sie haben bemerkt, dass es Momente gibt, in denen Sie ihren Geist wandern lassen können/ dürfen und auch dass es Momente gibt, in denen sie ihren Fokus auf eine Arbeit richten müssen. Sie haben gelernt wie sie Gefühle und Emotionen wahrnehmen, annehmen und nicht werten können. Sie haben gelernt, wie sie und nur sie für ihr Handeln verantwortlich sind. Auch lernen sie, wie sie Körperwahrnehmungen erkunden und annehmen können, welche angenehm oder unangenehm sein können. Sich dies alles bewusst zu werden und einen Weg finden, wie man mit sich selbst und mit anderen umgehen kann, sind Kompetenzen, die Schüler*innen für ihr Leben brauchen. Der Umgang mit sich selbst und der Umgang mit anderen zeigt eine positive Veränderung. Der Raum zwischen Reiz und Reaktion wird grösser und die Schülerinnen und Schüler erlangen die Kompetenz, ihre Reaktion bewusst zu steuern. Im Bereich der Konfliktbewältigung in der PeerGroup habe ich ebenfalls positive Beobachtungen gemacht.
Diese Auswirkung von einer achtsamen Haltung zu bemerken ist wunderbar, bereichernd, wohltuend und bringt für alle eine grosse Freiheit und Leichtigkeit in den Schulalltag.
Auch nicht unwichtig: werfen wir einen Blick auf den Lehrplan 21, entdecken wir darin die überfachlichen Kompetenzen – die wir mit Achtsamkeitsübungen erlangen. Wir haben also durch unsere achtsame Haltung gleich die offizielle Beanspruchung der Überfachlichen Kompetenzen des Lehrplans 21 grossenteils erledigt
Ich sehe die letzte 1,5 Jahren als wären wir in einem Garten gewesen, in den wir ansähen, wobei Blumen und Bäume täglich gegossen werden müssen, damit sie zu einem prachtvollen, blühenden Garten heranwachsen.
Es ist die achtsame Haltung, die wir LehrerInnen hegen und pflegen müssen, wenn wir möchten, dass die Samen spriessen und wachsen können.
Meine Reise als „Achtsamkeitsknowbody“ hat mich zu einem andersdenkenden und vor allem anders fühlenden Menschen gemacht. Ich konnte miterleben, wie ich mich, zusammen mit meiner Klasse, auf einen achtsamen Weg verändert haben. Wir sind alle wie die Blumen und Bäume in dem achtsamen Garten gewachsen. Mein Weg geht sicher noch weiter.
Liebe Erica, ich bedanke mich von Herzen, dass wir uns begegnet sind.
Liebe Andrea, ich danke dir von Herzen, dass ich diesen Bericht veröffentlichen darf. Ich hoffe, dass wir viele Lesenden motivieren können, die Achtsamkeit zu leben und weiterzugeben! (AmiKil)